Sm3 – Pendolino-Hochgeschwindigkeitszüge in Finnland
Sm3 in Finnland. – 15.07.2009 © Wikipedia: Falk2 (CC BY-SA 4.0)
Der Entscheid für Pendolino-Neigezüge
Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Hochgeschwindigkeitszüge auch in Finnland präsent sind, denn das nordeuropäische Land zählt zu den am dünnsten besiedelten Ländern Europas. Die meisten der rund 5,6 Millionen Einwohner Finnlands leben im Süden des Landes.[1] Statt in teure Schnellfahrstrecken zu investieren, die sich wegen der geringen Anzahl von Reisenden nie rentieren würden, entschied sich die damalige finnische Staatseisenbahn Anfang der Neunzigerjahre für die Beschaffung von Neigezügen und die Modernisierung des Bestandsnetzes. Die finnische Staatsbahn VR (Valtionrautatiet) wollte keine langwierige und risikoreiche Eigenentwicklung starten, sondern setzte auf bereits bewährte Fahrzeuge. 1992 existierten bereits der schwedische X2000, der italienische Pendolino sowie Talgos aus spanischer Fertigung. Die Entscheidung fiel zugunsten der Pendolino-Neigetechnik von Fiat Ferroviaria. Trotzdem konnte man die neueste Generation der Serie ETR 460 nicht „von der Stange“ kaufen. Zum einen waren umfangreiche Anpassungen an das künftige Einsatzgebiet nötig, zum anderen sollte auch die heimische Eisenbahnindustrie von der Bestellung profitieren.[2]
1992–1994: Entwicklung und Bau zweiter Pendolino-Prototypen
Technische Anpassungen an schneereiches Klima
1992 orderte VR zuerst zwei sechsteilige Prototypen. Fiat Ferroviaria war zwar hauptverantwortlich für den Bau der Garnituren, die auf dem italienischen ETR 460 basieren. Der heimische Waggonhersteller Rautaruuukki-Oy Transtech musste jedoch die Züge an das raue, schneereiche Klima Finnlands anpassen. Das betraf vor allem den Schutz der Neigetechnik gegen Schnee- und Eisansammlungen. Bei den Fahrwerken verzichtete man auf Druckluftfederung und setzte stattdessen auf eine bewährte, schraubenartige Primär- und Sekundärfederung. Die Drehgestelle sowie die Verbindungen zu den Wagenkästen erhielten ebenfalls einen Schutz gegen Schnee und Eis.[2] In den Anfangstagen der Eisenbahn, als Finnland noch zum russischen Zarenreich gehörte, setzte sich die russische Breitspur (1524 mm) durch.[3] Auch in diesem Punkt mussten die Radsätze und Fahrwerke angepasst werden. Weil der großzügige Gleismittenabstand ein größeres Lichtraumprofil erlaubt, konnten die finnischen Pendolini um 40 Zentimeter breiter und 20 Zentimeter höher gebaut werden als ihre italienischen Verwandten. Die beiden sechsteiligen Prototypen besitzen eine Leistung von insgesamt 4000 kW; acht Achsen werden durch jeweils 500 kW starke Drehstrom-Asynchronmotoren angetrieben. Die Oberleitungsspannung liegt in Finnland bei 25 kV / 50 Hertz. Der Strom wird durch GTO-Thyristoren für die Motoren umgewandelt.[2]
Hoher Komfort für die Fahrgäste
Die größere Fahrzeugbreite machte sich im Fahrgastraum durch breite, bequeme Sitze und einen großzügigen Mittelgang bemerkbar. In der ersten Klasse waren 2+1 Sitze über die Wagenbreite verteilt installiert. In der zweiten Klasse fand man ebenfalls eine 2+1-Bestuhlung vor. Insgesamt 264 Fahrgäste fasste ein Prototyp, zwei davon waren für mobilitätseingeschränkte Personen ausgestattet. Darüber hinaus gab es ein Buffetabteil sowie ein Büroabteil mit Telefonen, Faxgerät und Tageslichtprojektor – ideal für eifrige Geschäftsreisende.[2]
Testfahrten mit dem Pendolino S220
Die Fertigung der Wagenkästen und sämtlicher mechanischen Teile erfolgte im italienischen Fiat-Werk in Savigliano. Anschließend wurden die Züge als Rohbau mit dem Schiff nach Finnland transportiert.[2] Einer anderen Quelle nach sollen die beiden Garnituren komplett in Finnland hergestellt worden sein.[4] 1994/95 verließen die neuen Hochgeschwindigkeitszüge die Werkshallen von Oy Transtech in Oulu. Von den Herstellern erhielten sie die Bezeichnung „Pendolino S220“. Die finnische Staatsbahn reihte sie als Baureihe Sm3 ein. Von November 1994 bis November 1995 wurden die Prototypen einem ausgiebigen Versuchsprogramm ausgesetzt, schließlich müssen diese, sowie die auf ihnen basierenden Serienzüge, den Regelbetrieb auf kurvenreichen Strecken bei einem Temperaturbereich von -40 °C bis +35 °C zuverlässig abwickeln. Der Dienst nach Fahrplan und mit Fahrgästen begann am 27.11.1995; sie pendelten zwischen Helsinki und dem 194 Kilometer entfernten Turku. Zwischen 2001 und 2004 passte man die Prototypen vor allem im Fahrgastbereich an die Serienfahrzeuge an.[2]
1997–2001: 1. Serie von 8 Zügen der Serie Sm3
Für umgerechnet rund 103,6 Millionen Euro kaufte die finnische Bahngesellschaft VR (seit 1995 „VR-Yhtymä“) im Jahr 1997 acht Serientriebwagenzüge.[2][5] Auf der technischen Seite verbesserte man den Schneeschutz, die Besandungsanlage und setzte auf laufruhigere Räder. Die größten Änderungen gab es allerdings im Fahrgastbereich. In der zweiten Klasse wurde es mit einer 2+2-Bestuhlung enger. Dafür stiegt die Sitzplatzkapazität von 264 auf 308[2] bzw. 309.[5] Das Restaurant bietet 22 Sitzplätze und kann nun auch warme Speisen zubereiten. Die Achslast stieg durch das modifizierte Interieur auf 15,6 Tonnen. Im November 2000 konnte mit der Auslieferung der Sm3-Züge der ersten Serie begonnen werden. Leider kamen nicht alle 8 bestellte Garnituren heile in Finnland an. Bei einem starken Sturm auf See wurde ein Zug schwer beschädigt und wurde nie von VR übernommen. Die Inbetriebnahme der ersten Serienzüge erfolgte am 10. September 2001 auf der Verbindung Helsinki – Turku.[5] Bald darauf konnte eine zweite Route mit den komfortablen Neigezügen bedient werden: Helsinki – Jyväskylä. Zwischen Helsinki und Tampere lag die Maximalgeschwindigkeit bei 160 km/h. Auf der Strecke Tampere – Jyväskylä war sogar nur Tempo 140 möglich.[6] Im Sommer 2002 konnte die Relation nach Koupio verlängert werden. Oulu wurde über Seinäjoki mit Helsinki ans wachsende Sm3-Netz angebunden.[2] Der Streckenausbau sollte noch ein wenig auf sich warten lassen.
2002–2006: 2. Serie von 8 Zügen der Serie Sm3
Kaum rollten die Serien-Pendolini der ersten Serie an, wurden Ende März 2002 – nun bei Alstom, der zwischenzeitlich Fiat Ferroviaria aufgekauft hatte – 8 baugleiche Garnituren der Serie Sm3 geordert, die mit 108 Millionen Euro zu Buche schlugen.[2][7] Letztendlich lieferte Alstom aber 9 Züge, nämlich einen Ersatz für den Transportschaden auf See. Summa summarum beläuft sich die Gesamtzahl der Sm3-Züge auf 18 Einheiten: 2 umgebaute Prototypen, 7 Züge der ersten Serie und 9 Züge der zweiten Serie.[2] Nach und nach wurden weitere Städte mit den Pendolini bedient: ab 7.11.2005: Joensuu, ab 07.01.2007: Kajaani.[2]
Probleme mit den Sm3 schaden der Reputation des Bahnbetreibers
In der Testphase traten laut Bahnbetreiber VR nur kleinere elektrische Fehler auf, ansonsten gab es keine technischen Probleme zu beklagen, die auf das harsche Klima zurückzuführen gewesen wären.[2][4] Um sicherzugehen, dass auch das Personal mit den neuen Fahrzeugen gut vertraut ist, verlängerte man die Versuchsfahrten. VR wollte kein Risiko eingehen, dass eventuelle Schwierigkeiten mit den neuen Zügen ihrem guten Ruf schaden könnten.[8] Der Ausbau des Streckennetzes – Begradigung, Elektrifizierung – schritt Jahr für Jahr voran. Es wurde sogar eine Schnellfahrstrecke zwischen Kerava und Lahti gebaut, um den Nordosten Finnlands schneller zu erreichen und damit das Nadelöhr via Tamper zu entlasten.[9] Diese ging am 03.09.2006 in Betrieb.[2]
Schwierigkeiten erfordern Modifikationen an den Sm3-Garnituren
Leider erwiesen sich die für das nordische Klima angepassten Neigezüge als doch nicht so winterfest wie erhofft. Zum einen beeinträchtige das winterliche Wetter die Neigetechnik, zum anderen sorgten Schnee und Feuchtigkeit für Probleme beim Kuppeln zweier Züge zu einem 12-teiligen Verbund. Daher mussten die Züge oft kurz hintereinander und mit zwei Triebfahrzeugführern besetzt fahren, was die Streckenkapazität unnötig einschränkte. VR spielte den Unmut der Presse und Fahrgäste herunter und behauptete, dass die Sm3 auch nicht anfälliger seien als andere Baureihen.[4] Im Winter 2010/2011 wurde die Neigetechnik deaktiviert, und im darauffolgenden Winter passte man die Reisezeiten an denen herkömmlicher Züge an. Zwischen 2012 und 2014 bekamen die Sm3 eine technische Generalüberholung. Unter anderem erhielten die Züge neue Kupplungen – die den Zug optisch regelrecht verschandeln –, Heizungen unter den Wagenböden, um das Ansammeln von Eis verhindern sowie eine Verringerung des Neigewinkels. Das original italienische Prinzip soll durch ein in Finnland entwickeltes System ersetzt worden sein, denn zwei Jahre der Erprobung ergaben zufriedenstellende Ergebnisse.[4]
Sm3 werden bald ausgemustert
Im Sommer 2024 war zu lesen, dass trotz der Modernisierungsmaßnahmen die finnischen Pendolino-Hochgeschwindigkeitszüge der Serie Sm3 in den nächsten Jahren ausgemustert werden sollen. Ein Nachfolger ist allerdings noch nicht bekannt. Wahrscheinlich wird auf Züge der Serie Sm6 zurückgegriffen, die ab 2025 im Binnenverkehr wieder zum Einsatz kommen sollen.[10][11]
Einsatzgebiet der Sm3-Züge in Finnland
Zug- / Baureihenbezeichnung: | Sm3 7101–7618 Pendolino S220 |
Einsatzland: | Finnland |
Hersteller: | Fiat Ferroviaria, Rautaruukki-Transtech, Alstom |
Herstellungskosten pro Zug: | 18,5 Mio. Euro |
Anzahl der Züge: | 16 Züge |
Anzahl der Züge im Detail: | 2 Prototypen 1. Serie: 8 Einheiten 2. Serie: 8 Einheiten |
Zugtyp: | Triebwagenzug |
Anzahl der Mittelwagen: | 4 Mittelwagen |
Anzahl der Endwagen: | 2 Endwagen |
Anzahl der Sitzplätze 1. / 2. Klasse / Restaurant: | 47 / 261 / 22 (308 insg.) |
Baujahre: | 1993–2006 |
Inbetriebnahme: | 27.11.1995 |
Spurweite: | 1524 mm |
Stromsystem(e): | 25 kV / 50 Hz |
Technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit: | 220 km/h |
Antriebsleistung des Zuges: | 4.000 kW ( 8 x 500 kW ) |
Beschleunigung des Zuges: | 0,5 m/s² |
Anfahrzugkraft: | 163 kN |
Neigetechnik: | Ja ( 8° ) |
Zug fährt auch in Traktion: | Ja |
Achsformel: | (1A)(A1)+(1A)(A1)+2’2’+2’2’+(1A)(A1)+(1A)(A1) |
Federung: | schraubenartige Primär- und Sekundärfederung |
Länge / Breite / Höhe der Endwagen: | 27.650 / 3200 / --- mm |
Länge / Breite / Höhe des Steuerwagens: | 25.900 / 3200 / --- mm |
Achslast (maximal): | 15.6 t |
Leergewicht: | 328 t |
Zuglänge: | 158,9 m |
Quellenangaben
- „Finland: Total population from 2019 to 2029 – Jahr 2024“, Statista.com, angerufen am 21.10.2024.
- Thomas Estler: „Finnland“ in: „Schnelle Züge Weltweit“, TransPress Verlag, Stuttgart, 2011, S. 17–20.
- „Finnland: Russische Herrschaft (1809-1917)“, Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2005.
- „VR Class Sm3“, en.wikipedia.org, abgerufen am 21.10.2024.
- „Finnland: Neue Pendolino-Züge im Einsatz“, Eisenbahn Magazin 12/2001, S. 13.
- „Pendolinos Helsinki-Jyväskylä next month“, VR uutiset, 05.09.2001.
- Gabriele Pellandini: „Neue Fahrzeuge für die Finnischen Staatsbahnen“, Eisenbahn-Revue International, 02/2001, S. 80.
- „New Pendolino continue testing“, Kauppalehti, 31.8.2001, berichtet von Keith Dawson.
- „Mit Hochgeschwindigkeit durchs Land der 40.000 Seen“, TSTG/Voestalpine Website, 05/2004.
- Emmanuel Bremont: „VR Group Sm3: first Finnish highspeed trains soon to be scrapped“, railcolornews.com, 13.06.2024.
- „Finland’s VR takes over Helsinki – St Petersburg Allegro train fleet“, Railway Gazette International, 19.12.2023.