TGV-Netz, Schnellfahrstrecken (Lignes à Grande Vitesse) in Frankreich
TGV-Netz im Überblick
Der Erfolg der TGV-Züge ist eng mit der Infrastruktur verbunden. Bereits 1981 konnten die Hochgeschwindigkeitszüge auf der ersten Schnellfahrstrecke Frankreichs zwischen Paris und Lyon 260 km/h erreichen.[1] Inzwischen ist das Netz der sogenannten „lignes à grande vitesse“ (LGV) auf 2735 Kilometer Länge angewachsen und durchzieht ganz Frankreich.[2] Damit ist es nach China, Spanien und Japan das viertlängste Schnellfahrstreckennetz der Welt.[2] Alle TGV-Neubaustrecken sind für Geschwindigkeiten von 300 bis 350 km/h ausgelegt. Sie hängen direkt zusammen, sodass die TGV-Züge ihre volle Geschwindigkeit über weite Distanzen beibehalten können. Vorteilhaft ist auch die Möglichkeit, Städte mit hoher Geschwindigkeit großzügig zu umfahren. Dementsprechend gering fallen die Reisezeiten aus. Der TGV 9830 von Bruxelles-Midi (Brüssel) nach Marseille-St-Charles beispielsweise nutzte bereits 2005 nahezu ausschließlich Schnellfahrstrecken. Der 320 km/h schnelle Hochgeschwindigkeitszug benötigte für die Distanz von 1130 Kilometern mit nur 5 Zwischenhalten lediglich 5 Stunden 21 Minuten.[3]
Der Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken in Frankreich wird durch folgende drei Faktoren maßgeblich erleichtert. Die topologischen Gegebenheiten erlaubt es, teure Tunnel- und Brückenbauten auf ein Mindestmaß zu reduzieren und den Kostenrahmen relativ niedrig zu halten. Frankreich ist charakterisiert durch einzelne Ballungsräume, in der die meiste Bevölkerung lebt; außerhalb sind die Gebiete dagegen dünn besiedelt und der Lärm der schnellen Züge trifft nur wenige. Ein politischer Vorteil kommt bei Protesten zum Tragen: Einzelne Franzosen dürfen nicht gegen den Bau der Trasse Klage einreichen, wenn diese im Parlament als von „öffentlichem Interesse“ bestätigt wurde.
Es folgt eine grafische Darstellung des TGV-Netzes in Frankreich und des benachbarten Auslands. Anschließend werden die einzelnen Schnellfahrstrecken im Detail und in chronologischer Reihenfolge vorgestellt.
TGV-Netz in Frankreich
LGV Paris – Sud-Est (427 km)
Die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke in Frankreich ging im September 1981 in Betrieb, nachdem der orange TGV Sud Est (TGV-PSE Nr. 16) am 26.02.1981 mit 380,4 km/h den Weltrekord auf Schienen aufstellte. Sie begann über Jahre hinweg erst etwa 30 Kilometer außerhalb von Paris und führt in Richtung Südosten nach Lyon. In den ersten beiden Jahren stand sogar nur ein südlicher Abschnitt für 260 km/h zur Verfügung. Wenige Jahre später wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 270 km/h angehoben. Heute ist die Trasse 427 Kilometer lang und darf mit bis zu 300 km/h befahren werden. Fast alle TGV-Baureihen sind hier anzutreffen, außer die zehnteiligen Züge vom Typ „TGV Atlantique“. Vereinzelt nutzen auch Eurostar-Züge der Reihe e300 und Thalys PBA-Garnituren die Neubaustrecke. Bemerkenswert ist noch, dass die Oberleitung mit Hilfe von kontrollierten Kurzschlüssen aufgeheizt werden kann, um diese eisfrei zu halten. Inwieweit das auch auf die weiteren Neubaustrecken zutrifft, ist mir nicht bekannt.
LGV Atlantique (282 km)
Bereits 1985 zeichnete sich der große Erfolg der Südost-Linie ab, weshalb die Regierung rasch beschloss, auch den Westen Frankreichs an das Hochgeschwindigkeitsnetz anzuschließen. Damit begann der Bau der Schnelltrasse für den TGV-Atlantique. Im Oktober 1989 ging die Neubaustrecke Paris – Le Mans in Betrieb, ein Jahr später von der Hauptstadt aus nach Tours. Die insgesamt 282 Kilometer lange Schnellstrecke beginnt gleich nach dem Montparnasse-Bahnhof in Paris, wo auch die Leitzentrale untergebracht ist. Die technischen Daten der Strecke entsprechen denen der Südost-Strecke. Auch hier liegt die Höchstgeschwindigkeit bei 300 km/h, die bei Steigungen von 25 Promille gehalten werden kann. Die weitgehend an der Autobahn A 10 entlang geführte Neubaustrecke weist nur ein Tunnel auf, der mit 270 km/h ohne druckdichte Wagen durchfahren werden darf. Lediglich kurz vor Paris gibt es tunnelähnliche Schallschutzbauten.
Paris Jonction bzw. LGV Interconnexion Est (57 km)
Als im Oktober 1987 der Bau der TGV-Nord-Strecke feststand, rückte die Verbindung zwischen den Neubaustrecken Nord, Sud-Est und Atlantique näher. Bis dato mussten Fahrgäste, die über Paris hinaus fahren wollten, in den Sackbahnhöfen aussteigen und mit Bussen oder der Metro zum anderen Bahnhof gebracht werden. Die Strecke, deren Bau im Juni 1990 begann, da sie als von öffentlichem Interesse eingestuft wurde, führt im Abstand von 40 Kilometern östlich um den Pariser Stadtkern herum. Durch hohe Umweltschutzauflagen, Lärmschutzmaßnahmen und den Tunnel unter dem Flughafen Roissy-Charles de Gaulle, war sie mit 7 Milliarden Francs extrem teuer.
Im Mai 1994 konnte ein Großteil der Umfahrung in Betrieb gehen, im November auch der Bahnhof am Flughafen. Die Teilstrecke Coubert – Valenton stellte man 1996 fertig. Ein neuer Abschnitt zwischen Moisenay und Créteil bei Valenton erlaubt den Zügen auf der LGV-Est bis neun Kilometer vor Paris mit Höchstgeschwindigkeit fahren zu können. Die beiden neuen Bahnhöfe in Paris heißen „Roissy-Charles de Gaulle“ und „Marne-la-Vallée-Chessy“.
LGV Nord (333 km)
Durch den Baubeginn des Eurotunnels machte sich die SNCF 1986 an die Planungen einer neuen Schnellstrecke. Zum einen sollte die LGV-Nord Paris mit London verbinden, andererseits auch mit Brüssel, Amsterdam und später auch Köln. Östlich von Lille teilt sich die Strecke – für die Eurostar-Züge in Richtung Kanaltunnel, für die übrigen TGV- und Thalys-Hochgeschwindigkeitszüge in Richtung Brüssel. Am Kanaltunnel und an der französisch-belgischen Grenze endet jeweils die TGV-Nord-Strecke. Bereits 1993, ein Jahr vor der Eröffnung des Eurotunnels, befuhren TGV-Züge die neue Strecke.
LGV Rhône-Alpes (115 km)
Zwischen 1990 und 1994 verlängerte die SNCF die bestehende Schnellbahnstrecke „Sud-Est“ von Lyon bis Valence. Dabei konnte eine Umfahrung östlich von Lyon geschaffen werden, damit durchgehende TGV-Züge ohne Halt in Lyon mit unverminderter Geschwindigkeit vorbei fahren können. Die Trasse ist für 300 km/h ausgelegt.
LGV Méditerranée (251 km)
Mit dem TGV-Méditerranée ging zum 10. Juni 2001 Frankreichs fünfte Schnellbahnstrecke in Betrieb. Sie beginnt bei Valence und schließt sich damit nahtlos an die bestehende Neubaustrecke „Rhône-Alpes“ an. Sie führt sowohl nach Marseille als auch nach Nîmes, wobei der Abzweig westlich von Avignon liegt. Die Bauzeit lag bei fünf Jahren und verschlang circa vier Milliarden Euro – die Kosten für die drei neuen Bahnhöfe mit eingeschlossen. Die Design-Geschwindigkeit der Trasse liegt bei 350 km/h, weswegen man sich für einen Gleismittenabstand von 4,80 Metern entschied. Als größte Neigung waren 35 Promille zugelassen. Von den 251 Kilometern der Neubaustrecke führen rund 17 Kilometer durch Tunnel und über 15 größere Brücken. Markant sind die beiden je 1,5 Kilometer langen Rhônebrücken aus besonders hellem Beton, die ein Bestandteil des Gleisdreiecks „Triangle des Angles“ sind. Ein beeindruckender Rekord stellte eine TGV-Réseau-Einheit am 26. Mai 2001 auf. Für die 1067 Kilometer lange Fahrt von Calais Frethun am Kanaltunnel bis nach Marseille benötigte der französische Superzug nur knapp dreieinhalb Stunden – das ist Weltrekord! Befahren wurden dabei die mittlerweile zusammenhängenden Neubaustrecken „Nord“, „Paris-Jonction“, „Sud-Est“, „Rhône-Alpes“ und „Méditerranée“.
LGV Est (301,4 km + 96 km)
Brandaktuell ist der Bau einer Rennstrecke durch den Osten Frankreichs. Am 22. Mai 1992 vereinbarten Deutschland und Frankreich eine Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Paris, Ostfrankreich und Südwestdeutschland zu realisieren (POS). Der Neubaustreckenanteil wird TGV-Est bzw. LGV-Est genannt. Die POS-Strecke verläuft in ihrem nördlichen Zweig von Paris über Lothringen und Saarbrücken nach Mannheim. Durch die Weiterführung über Frankfurt am Main nach Berlin erfüllt sie eine wichtige Funktion als West-Ost-Magistrale.
Der erste Bauabschnitt in Frankreich umfasst eine 301,4 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke von Vaires-sur-Marnes bei Paris bis Baudrecourt in Lothringen, die für 350 km/h ausgelegt ist. Die Gemeinnützigkeit der Strecke wurde Mitte 1996 erklärt. Grundstücke, die dem Streckenverlauf im Weg standen, konnten ab Ende Januar 1999 aufgekauft werden. Ein gutes Jahr später gründeten die vier Bahngesellschaften (DB-Anteil: 30%, SNCF: 30%, SBB: 25% und CFL: 15%) eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Namen „Rhealys“. Es beinhaltet die Worte „Rhein“, „Alsace“ und „Fleur de Lys“ (Großraum Paris). Am 25. Januar 2002 begann der Bau des ersten Abschnittes bei Baudrecourt zwischen Metz und Nancy. Das letzte Gleis der neuen Strecke wurde im September 2006 verlegt. Ab dem 13. November 2006 war ein 210 Kilometer langes Teilstück der Neubaustrecke des TGV-Est zwischen Château-Thierry und la Vallée de la Moselle für Versuchsfahrten freigegeben. Die offizielle Einweihung der 300 Kilometer langen Verbindung fand am 15. März 2007 statt. Eine Besonderheit war das große Feuerwerk entlang der Gleise, das sich von Paris nach Baudrecourt nacheinander gezündet mit 5400 km/h „fortbewegte“. Um die Leistungsfähigkeit von Fahrzeug und Strecke eindrucksvoll zu demonstrieren, fand am 3. April eine neue Weltrekordfahrt mit einem TGV statt, bei dem 574,8 km/h erreicht wurden. Die LGV Est Européenne ist die erste Neubaustrecke in Frankreich, die nicht vom Staat alleine finanziert wird. Die Kosten der Schnellfahrstrecke liegen bei gut drei Milliarden Euro. Neue Bahnhöfe (Champagne-Ardenne, Meuse und Lorraine), die Betriebshöfe und das rollende Material verschlingen nochmal eine Milliarde Euro. Diese vier Milliarden Euro beziehen sich aber nur auf den französischen, luxemburgischen und schweizerischen Abschnitt.
Der zweite Bauabschnitt wird sich dem ersten Abschnitt bei Baudrecourt anschließen und nach 96 Kilometern bei Vendenheim nördlich von Straßburg enden. Im Jahr 2009 sollen die Bauarbeiten beginnen. Die Fertigstellung ist für 2014 geplant. Für die knapp 100 Kilometer Gleisanlagen sind etwa zwei Milliarden Euro zu finanzieren.
Auf der POS-Strecke rollen seit dem 10. Juni 2007 sowohl TGV-Züge, bestehend aus TGV-Est-Triebköpfen und TGV-Réseau-Mittelwagen, sowie Mehrsystem-ICE3-Züge. Die TGVs verbinden Paris mit Straßburg und Stuttgart. Zum Winterfahrplan 2007/2008 wurde München ans TGV-Netz angeschlossen. Die bisher fünf umgerüsteten ICE3M-Einheiten nehmen den nördlichen Abzweig nach Deutschland und verbinden Paris mit Frankfurt am Main. Beide Fahrzeugtypen dürfen auf der französischen Neubaustrecke auf bis zu 320 km/h beschleunigen.
Am 8. Juni feiern die Deutsche Bahn und die Französische Staatsbahn das fünfjährige Bestehen des deutsch-französischen Schienenschnellverkehrs. Vom 10. Juni 2007 bis Juni 2012 sind rund 6,3 Millionen Fahrgäste mit den ICE- und TGV-Zügen zwischen Paris und Deutschland gereist. 3,7 Millionen entfallen auf die Verbindung Paris – Saarbrücken – Frankfurt am Main. 2,6 Millionen Reisende zählte man auf der Strecke Paris – Stuttgart – München. Das entspricht zirka 30.000 grenzüberschreitenden Fahrten.
LGV-Rhin-Rhône (425 km)
Anfang Juli 1999 fiel die Entscheidung über die Linienführung von Mulhouse nach Dijon via Auxonne und Petit-Croix (i.d.N. von Belfort). Die Kosten belaufen sich auf etwa 8,9 Milliarden Francs. Vom 3. Juli 2006 an wurde an der neuen Schnellbahntrasse gebaut. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Fahrzeitverkürzung zwischen Basel und Paris. Am 11. Dezember 2011 ging der 140 Kilometer lange Streckenabschnitt zwischen Belfort und Dijon in Betrieb. Die Bau- und Renaturierungskosten für diesen Teil der Neubaustrecke beliefen sich auf 4,6 Milliarden Euro.
- Villers-les-Pots (bei Dijon) – Petit Croix (Belfort): 140 Kilometer
- Dijon – nach Osten zur Schnellfahrstrecke „Paris-Lyon“
- Dijon – nach Süden Richtung Lyon
LGV Bretagne (182 + 32 km)
Als 1989 die Schnellfahrstrecke LGV Atlantique von Paris nach Le Mans in Betrieb ging, war bereits geplant, die Strecke nach Rennes weiterzuführen. Der Hauptast ist 182 Kilometer lang und die Anbindungen an das bestehende Netz sollen sich auf weitere 32 Kilometer summieren. Ende Oktober 2007 wurde das 3,3 - 3,4 Milliarden Euro teure Neubaustrecken-Projekt als von öffentlichem Interesse deklariert. Der offizielle Baubeginn war im Juli 2012. Mit der Fertigstellung und Inbetriebnahme wird zurzeit 2016 angegeben. Als Höchstgeschwindigkeit für die TGV sind derzeit 320 km/h vorgesehen, aber die Design-Geschwindigkeit liegt bei 350 km/h. Wenn die Ligne à Grande Vitesse im Fahrplan integriert sein wird, wachsen Le Mans und Rennes um 37 Minuten Fahrtzeit enger zusammen.
LGV Sud Europe Atlantique (303 + 49 km)
Die LGV Sud Europe Atlantique ist eine seit 2012 im Bau befindliche Schnellfahrstrecke im Südwesten Frankreichs. Sie schließt sich der LGV Atlantique an und führt von Tours nach Bordeaux. Der Hauptstrang ist 303 Kilometer lang, weitere 49 Kilometer bilden die Anschlussstrecken an die Bahnhöfe von Poitiers und Angoulême. Ab dem 2. Juli 2017 sollen auf ihr die TGV-Züge mit bis zu 350 Stundenkilometern verkehren. Damit wird Bordeaux um 50 Minuten näher an die Hauptstadt Paris rücken. Für die Distanz benötigen die Fahrgäste dann nur noch zwei Stunden zehn Minuten. Die Verbindungen werden als TGV l'Océane vermarktet.