Sokol Hochgeschwindigkeitszug-Prototyp in Russland

Sokol-Prototyp im Moscow Railway Museum, Rizhskaya, Moskau.  – 19.05.2018 © Wikipedia-Autor NearEMPTiness

Sokol-Prototyp im Moscow Railway Museum, Rizhskaya, Moskau. – 19.05.2018 © Wikipedia-Autor NearEMPTiness

Die Entstehungsgeschichte des Sokol-Triebwagenzuges

Der Grundstein für einen Hochgeschwindigkeitsverkehr in Russland wurde 1991 mit der Gründung der „Aktiengesellschaft Hochgeschwindigkeitsmagistralen“ gelegt. Damit starteten die Vorbereitungen für eine schnelle Schienenverbindung zwischen Moskau und Sankt Petersburg. 1993 kündigte man an, einen Prototyp herstellen zu wollen, der zu 90 Prozent aus Komponenten russischer Fertigung bestehen sollte. Nicht nur Ingenieure aus dem Bereich der Schienenfahrzeugindustrie waren an der Entwicklung beteiligt, sondern sogar das Militär. 1997 wurde mit dem Bau des Prototyps begonnen, der den Namen „Sokol“ (deutsch: Falke) erhielt.[1]

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Die Technik des Prototyps

Der 6-teilige Erprobungsträger war ein Zweisystemzug, der sowohl mit 3 kV Gleichspannung als auch 25 kV 50 Hz Wechselspannung aus der Oberleitung betrieben werden konnte. Ein antriebsloser Steuerwagen, ein motorisierter Mittelwagen und ein nicht angetriebener Transformatorwagen bildeten eine Einheit, und aus zwei Einheiten setzte sich der Sokol zusammen. Die insgesamt acht Asynchron-Fahrmotoren mit je 430 kW Leistung beschleunigten den 162 Meter langen Zug auf 250 Stundenkilometer. Da die Dauerleistung mit 3440 kW für einen Hochgeschwindigkeitszug recht mager war, hätten auch 675 kW starke Motoren eingebaut werden können, was eine Gesamtleistung von 5400 kW bedeutete. Der Sokol verfügte über drei verschiedene Bremssysteme: elektrodynamisch und pneumatisch – wobei jeweils vier Bremsscheiben pro Achse installiert waren – sowie Magnetschienenbremsen.[1]

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Der Sokol von innen

Obwohl der 6-teilige Sokol ein Versuchszug war, hatte man für Demonstrationsfahrten und geplanter Indienststellung in jedem Wagen Sitzplätze eingebaut. Ein Endwagen war mit 32 Sitzen der ersten Klasse ausgestattet – 2+1 über die Wagenbreite angeordnet. Einen luxuriösen Eindruck hinterließ ein Abteil mit fünf Plätzen. Der darauffolgende, angetriebene Mittelwagen bot 38 Erstklassplätze in zwei Abteilen. Der dritte Wagen enthielt eine Bar und 30 Sitze der zweiten Klasse in 2+2-Bestuhlung. Wie der dritte, so war auch der vierte Mittelwagen ein Transformatorwagen. In zwei Abteilen der zweiten Wagenklasse befanden sich insgesamt 76 Sitze. Im Wagen 5 fanden 80 Fahrgäste Platz.[1] Die Endwagen 1 und 6 waren im Prinzip identisch, doch einer enthielt keine Sitze, sondern das Testequipment.[2]

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Sokol: Präsentation und Testfahrten

Am 28.07.1999 wurde der Sokol in der Stadt Tichwin, gut 200 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt, der Öffentlichkeit vorgestellt. Es folgte eine Überstellung nach Schtscherbinka bei Moskau, wo sich ein Eisenbahn-Versuchsring befand. Danach war ein einjähriges Versuchsprogramm auf der 654 Kilometer langen Strecke Moskau – Sankt Petersburg vorgesehen. Am 26.06.2001 soll die Höchstgeschwindigkeit bei Versuchsfahrten bei nur 236 km/h gelegen haben.[3] (Gemäß anderer Quelle: 237 km/h[4]) Nach fünf Monaten kamen die Techniker zu folgender Beurteilung des Sokol-Prototyps: Die Hauptkomponenten und die Bremssysteme arbeiteten zur vollen Zufriedenheit, auch die Laufruhe sei gut gewesen. Bemängelt wurden allerdings der unzuverlässige Antrieb, ein unzureichender Schutz gegen Schnee und Wasser, die Aerodynamik sowie laute Fahrgeräusche. Brandschutzauflagen wurden ebenfalls nicht eingehalten. Um die Schwachstellen zu beseitigen, hätten weitere 12 Monate an Zeit investiert werden müssen.[5] Einer anderen Quelle nach sollen insgesamt 50 Probleme am Zug aufgetreten sein.[4] Und dennoch: Im April 2002 gab man sich optimistisch, schon im September des gleichen Jahres mit dem 6-teiligen Prototyp Fahrgäste transportieren zu können.[6] 2002 fand ein zweites Testprogramm statt, bei dem zwar weniger Probleme auftraten, aber die kleinen Fortschritte konnten das Hochgeschwindigkeitszug-Projekt nicht mehr retten.[4] Hinter vorgehaltener Hand sprachen die an der Konstruktion des Sokol Beteiligten von mangelhafter Absprache zwischen den Firmen und Institutionen. Auch sei nicht genug auf die Expertise von Eisenbahnfachleuten gehört worden. Zudem hielten zu viele technische Neuerungen Einzug, die aufwendige Tests erforderten. Das Sokol-Projekt kostete insgesamt umgerechnet 450 Millionen US-Dollar und musste 2003 endgültig begraben werden.[4]

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Geplante, aber nie gebaute Serienzüge und Schnellfahrstrecke

Offenbar sollten die Serienzüge nicht nur zwischen Moskau und Sankt Petersburg pendeln. Es waren Verbindungen von Moskau nach Sotschi, Warschau und Berlin geplant.[7] Man ging von einem Bedarf von 80 bis 90 zwölfteiligen, bis zu 350 km/h schnellen Hochgeschwindigkeitszügen aus – optional doppelstöckig oder mit Neigetechnik.[1] Auch 6- und 9-teilige Garnituren standen zur Diskussion.[2] Wären die Züge tatsächlich gebaut worden – es hätte dann an geeigneten Schnellfahrstrecken gefehlt. Die Trasse von Moskau nach Sankt Petersburg konnte bis dato, aber nur auf wenigen Abschnitten, mit gerade einmal 200 km/h befahren werden. Angedacht war eine Neubaustrecke, nahezu parallel zur alten Bahnstrecke. Wegen Finanzierungsproblemen verschwand die Schnellfahrstrecke in der Schublade. Die bestehende Gleisinfrastruktur konnte aber modernisiert und für bis zu 210 km/h ertüchtigt werden.[8] Der Ausbau hatte zur Folge, dass die Schnelltriebzüge der Serie ER200, die bereits seit den Siebzigerjahren mit bis zu 200 km/h auf der Route unterwegs waren, nur noch 4 Stunden 20 Minuten statt 8 Stunden benötigten.[7]

Letztendlich wurden die bis zu 350 km/h schnellen Serienzüge nie gebaut. Stattdessen gab es Ende 2004 Gespräche zwischen Siemens und der russischen Eisenbahngesellschaft RŽD, ein Gemeinschaftsunternehmen gründen zu wollen, das Hochgeschwindigkeitszüge herstellen sollte.[9] Im April 2005 kam es dann zu einem Teilvertrag zur Lieferung von Velaro-Hochgeschwindigkeitszügen à la ICE 3, angepasst an die Spurweite und das Klima Russlands.[10]

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Technische Daten:
Zug- / Baureihenbezeichnung:Sokol 250 (deutsch: Falke)
Einsatzland:Russland
Herstellungskosten pro Zug:21,6 Mio. Euro
Herstellungskosten pro Zug im Detail:20,4 Millionen US-Dollar [5]
Anzahl der Züge:1 Zug
Zugtyp:Triebwagenzug
Anzahl der Endwagen:2 Endwagen
Anzahl der Mittelwagen:4 Mittelwagen
Anzahl der Sitzplätze 1. / 2. Klasse / Restaurant:75 / 223 / --- (298 insg.)
Sitzplätze im Detail:bei einer geplanten 12-teiligen Garnitur: insg. 698 Sitzplätze
Baujahre:1997–1999
Spurweite:1520 mm
Stromsystem(e):25 kV 50 Hz
3 kV DC
Technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit:250 km/h
280 km gemäß [2]
geplante Serienzüge: 250 bzw. 350 km/h
Aktuelle Höchstgeschwindigkeit im Plandienst:250 km/h
Motoren:bei einer geplanten 12-teiligen Garnitur: 16 Fahrmotoren.
Antriebsleistung des Zuges:5.400 kW ( 5400 kW bei 8 x 675 kW
3440 kW bei 8 x 430 kW )
Leistungsangaben im Detail:bei einer geplanten 12-teiligen Garnitur: 6880 kW bzw. 10.800 kW
Beschleunigung des Zuges:0,5 m/s²
Bremssystem(e):elektrodynamische Bremse
pneumatische Bremse
Magnetschienenbremse
Jakobsdrehgestelle:Nein
Neigetechnik:Nein
Zug fährt auch in Traktion:Nein
Anzahl der Achsen / davon angetrieben:24 / 8
Achsformel:2'2'+Bo'Bo'+2'2'+2'2'+Bo'Bo'+2'2'
Kleinster Kurvenradius:150 m
Länge / Breite / Höhe der Endwagen:--- / 3120 / --- mm
Länge / Breite / Höhe der Mittelwagen:--- / 3120 / 4680 mm
Achslast (maximal):16 t
Leergewicht:303,5 t
Leergewicht des Zuges im Detail:bei einer geplanten 12-teiligen Garnitur: 607 t.
Länge: 322 m
Zuglänge:162,5 m

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Quellenangaben

  1. „Sokol – Russlands neuer Hochgeschwindigkeitszug“, Eisenbahn-Revue International, 12/1999, S. 544–545.
  2. Murray Hughes: „Sokol prototype rolled out in Tikhvin“, Railway Gazette International, 01.09.1999.
  3. „The all-Russian high-speed train – World Report“, International Railway Journal, 08/2001.
  4. John Pike: „High Speed Rail“, Globalsecurity.org, 09.07.2018.
  5. „Sokol can’t fly yet“, Railway Gazette International, 01.10.2001.
  6. „High-Speed Train Successfully Tested at 200 km per Hour“, Petersburgcity.com, 03.04.2002.
  7. „‚Sokol‘-Erprobung“, Eisenbahn-Revue International, 4/2001, S. 176.
  8. „Russland präsentiert seinen neuen Hochgeschwindigkeitszug“, Tagesspiegel, 01.08.1999.
  9. „Siemens hofft auf den Russen-ICE“, Der Spiegel, 04.12.2004.
  10. „60 ICE-Züge für Russland“, BR-Online.de, 14.04.2005.