TGV Sud-Est – Frankreichs erster Serien-Hochgeschwindigkeitszug
TGV-PSE in alter orangener Farbgebung in Paris – 10/2000 © Andre Werske
TGV PSE im Überblick
Insgesamt 107 Hochgeschwindigkeitszüge der ersten Generation wurden von GEC Alsthom in Frankreich hergestellt. Ein Zug erreichte am 26. Februar 1981 bei Testfahrten auf der ersten Schnellfahrstrecke Frankreichs 380,4 km/h. Das war Weltrekord! Noch im gleichen Jahr begann der kommerzielle Betrieb von Paris nach Lyon mit Tempo 260. Die Höchstgeschwindigkeit konnte später auf 270 bzw. sogar auf 300 km/h angehoben werden. Weil die auffällig orangen Züge südöstlich von Paris im Einsatz waren, gab man ihnen den Namen TGV Sud-Est (TGV SE) bzw. TGV Paris-Sud-Est (TGV PSE). Es gab acht Dreisystem-Garnituren für den Verkehr in die Schweiz. Eine Besonderheit waren die gelben TGV-PSE-Züge, die nur Post transportierten. Ein TGV PSE erhielt vorübergehend Neigetechnik und wurde TGV Pendulaire genannt. Manche TGV-Züge der ersten Serie bewältigten besonders lange Laufleistungen, beispielsweise von Marseille nach Bruxelles. Zwischen 2013 und 2021 musterte die SNCF ihre TGV-PSE-Flotte sukzessive aus. Der komplette Weltrekord-TGV blieb der Nachwelt als Museumsfahrzeug erhalten.
Planung der TGV-Serienzüge
Wegen dem großen Erfolg des TGV 001 wollte die SNCF die Serienzüge ebenfalls mit Gasturbinenantrieb versehen. Dadurch hätte man zum einen die vorhandenen Strecken nicht elektrifizieren müssen, zum anderen wollte man damit das Problem der Stromentnahme umgehen. Dem ursprünglichen Plan nach sollten etwas über 80 Gasturbinenzüge gebaut werden. Doch wegen der Ölkrise war es kostengünstiger, die Strecken zu elektrifizieren. Vorübergehend dachten die Ingenieure über Zweisystem-Triebköpfe für Turbo- und Elektroantrieb nach. Doch die Ölpreise stiegen so rapide an, dass auch diese Ausführung als indiskutabel eingestuft wurde.
Nicht nur neue Züge waren vonnöten, sondern auch neue Strecken, um die Reisezeiten spürbar zu reduzieren. Der TGV sollte auf einer neuen, nur für Hochgeschwindigkeitszüge ausgelegten Trasse fahren, und zwar von Paris aus in Richtung Süd-Ost-Frankreich bis nach Lyon. Im Gegensatz zum bestehenden Streckennetz musste die Oberleitungsspannung aber von 1,5 kV auf 25 kV angehoben werden, um die nötige Leistung für die anvisierte Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h aufzubringen. Folglich mussten die ersten Züge für mindestens zwei Stromsysteme ausgelegt sein.
Entwicklung des TGV der ersten Generation
Es war für die SNCF anfangs nicht einfach, die Bevölkerung und Regierung zu überzeugen, dass sich die neue Strecke rentieren wird. Am 1. Dezember 1969 wurde dem Verkehrsministerium eine erste detaillierte Studie zu der neuen Strecke Paris – Lyon und dem Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen vorgelegt. Die Politiker befürchteten misstrauisch, die neue Bahn könnte eine Fehlinvestition in der Art der Concorde werden. Berechnungen ergaben, dass ein vierspuriger Ausbau der bestehenden Strecke teurer käme, als ein kompletter Neubau. Ende 1970 gab die Regierung zum Glück grünes Licht. Doch bis zur Fertigstellung dauerte es noch weitere zehn Jahre. Ein paar Jahre später, zwischen 1972 und 1974 prüften Gegner der neuen Bahn abermals, ob sich die Schnellstrecke noch rentieren wird. Sie kamen jedoch zu dem gleichen Schluss wie zuvor. Den Eröffnungstermin der TGV-Trasse setzte man auf 1981. Damit das Projekt nicht im Sand verlief, gab es weit mehr als 100 Hochgeschwindigkeits-Demonstrationsfahrten mit Politikern und anderen einflussreichen Personen aus rund 60 Ländern. Am 23. März 1976 erklärte die Regierung das Vorhaben als von öffentlichem Interesse. Am 12. Februar 1976 bestellte die SNCF bei GEC Alsthom und Francorail zwei Vorserienzüge und im November des gleichen Jahres 85 orange TGV-Garnituren, wobei sechs davon auch für das schweizerische Stromsystem von 15 kV / 16 2/3 Hz tauglich sein sollten.
Einsatz des TGV PSE
Am 11. Juli 1978 wurde der erste Elektro-TGV-Prototyp ausgeliefert. Insgesamt zwei rund 200 Meter lange Prototypen für eine Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h ließ die SNCF bauen, bis schließlich die Serienfertigung der TGV-PSE-Züge anlief. Lange und heftige Streiks verzögerten den Bau der Serienzüge, sogar eine Bombe wurde im ersten Triebkopf deponiert und zerstörte ihn. Ein Foto vom Anschlag ist auf www.trainweb.org zu sehen. Noch vor dem Plandienst unternahmen die Ingenieure umfangreiche Testfahrten, die mit dem TGV PSE Nr. 16 am 26.02.1981 mit 380,4 km/h einen Höhepunkt fanden. Damit verloren die Japaner ihr „Blaues Band der Schiene“.
Am 22. September 1981 fand die Einweihung der Strecke Paris – Südost statt und fünf Tage später konnte jedermann mit dem damals schnellsten Zug der Welt fahren. Trotz der Weltrekordfahrt waren es jedoch immer noch die Shinkansen-Züge, die die größte Verkehrsleistung aufbrachten. So fuhren in Frankreich pro Tag nur 23 TGV-Züge, in Japan dagegen 292 Züge.
Nach einem Jahr waren die TGV zu 61 Prozent ausgelastet. Deswegen folgte 1982 eine Nachbestellung von sechs Zweisystemzügen, die, wie üblich, aus zwei Wagenklassen bestanden. Weitere drei Einheiten wurden nur mit Erstklass-Sitzplätzen ausgeliefert. Ein weiterer TGV PSE war zusätzlich für 15 kV 16 2/3 Hz Wechselstrom ausgerüstet – es waren also alles in allem zehn TGV-PSE-Garnituren. Die letzte Nachbestellung von den TGVs der ersten Generation fand wiederum ein Jahr später (1983) statt. Sie umfasste elf Zweisystem-TGV und einen Dreisystem-TGV.
Summa summarum gab es 92 Zweiklassen-/Zweisystem-TGV-PSE-Züge, 8 Zweiklassen-/Dreisystem-TGV-PSE und 9 Zweisystem-TGV-PSE, die nur Wagen der ersten Klasse mit sich führten – insgesamt also 109 TGV PSE.
Ab September 1982 (oder Mai 1983 ?) erhöhte die SNCF die Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h auf 270 km/h. Nach und nach dehnte sich das TGV-Netz aus. Durch die Dreisystem-Züge war der grenzüberschreitende Betrieb in die Schweiz möglich geworden und wird seit 1984 tagtäglich praktiziert. Mitte der 80er Jahre lag die Auslastung des TGV PSE bei sage und schreibe 73 Prozent.
Inneneinrichtung bzw. Renovierungen der TGV-PSE-Züge
Renovierung 1)
Als der TGV PSE den Plandienst aufnahm, bot der Zug ein, für die damaligen Verhältnisse, angemessenes Komfortniveau. Die Einrichtung ähnelte derjenigen der Corail-Züge. Die Farben in der ersten und zweiten Klasse waren anfangs beige, orange und braun. Die Sitze konnten sich in der zweiten Klasse nicht neigen. Der Sitzabstand war ausgesprochen eng, was aber für die damalige durchschnittliche Fahrtdauer von etwas mehr als 2 Stunden zwischen Paris und Lyon ausreichte. Doch die Kunden waren mit dem Komfort offenbar nicht ganz so zufrieden, weswegen die SNCF bald mit einer ersten Renovierung begann.
Die erste Modernisierung begann im Juli 1986. Vor allem der Innenbereich erfuhr eine Verbesserung. Das schloss eine Vergrößerung der Bar, eine neue Farbgebung in den Wagen der 1. und 2. Klasse und das Schaffen von zusätzlichem Stauraum für Gepäck ein. Auf körperbehinderte Fahrgäste wurde durch großzügige Toilettenräume und extra Plätze für Rollstuhlfahrer Rücksicht genommen. Das Sitzplatzangebot von ursprünglich 386 Sitzplätzen reduzierte sich auf 368 Sitzplätze. In diesen Zeitraum fiel auch der Austausch der Flexicoilfedern aus Stahl durch eine Luftfederung. Die erste Modernisierung ging bis 1995 hinein.
Renovierung 2) Version I
Eine weitere Renovierungsinitiative wurde 1994 ergriffen, also 13 Jahre nach Einsatzbeginn. Um Erfahrungen zu sammeln, wurden vorerst nur zwei TGV PSE umgebaut und als Vorserienzüge getestet – mit und ohne Reisende. Am Innendesign änderte sich das Dekor, neue Sitze ersetzten die alten und der Barwagen erfuhr eine weitere Verbesserung. Dabei versuchte man, so weit wie möglich an das Interieur und das äußere Design der TGV-Réseau-Züge zu kommen. Der Sitzplatzabstand in der zweiten Klasse vergrößerte sich um vier Zentimeter, weswegen nur noch 350 Sitzplätze zur Verfügung stehen. Ein Familien- und Kinderabteil fand in jedem TGV PSE Einzug. Die sanitären Einrichtungen wurden modernisiert, die Telefonkabinen entfernt. Der gewonnene Platz steht Handybenutzern zur Verfügung. Bei Fragen oder Problemen hilft das Zugpersonal am Infopunkt weiter. Endlich können auch Fahrräder mitgenommen und in einem Fahrradabteil abgestellt werden. Jeder Platz bekam individuell einstellbare Halogenleselampen. Zweistöckige Gestelle in jedem Wagen bieten für große Gepäckstücke ausreichend Abstellmöglichkeiten. Die Lehnen in der zweiten Klasse lassen sich nun neigen. Alle eben genannten Modifizierungen betreffen alle TGV PSE-Züge. Nicht alle, aber die meisten TGV der ersten Generation erfuhren auch technische Änderungen. So wurde das neue Signalsystem TVM 430 installiert, das Getriebe geändert, stärkere Bremsen installiert und die Fahrmotoren sind nun besser belüftet, damit der Zug auch für 300 km/h zugelassen werden kann. Ein paar TGV-PSE-Züge sind technisch jedoch immer noch auf dem alten Stand (siehe weitere Informationen zum TGV PSE am Ende des Artikels).
Renovierung 2) Version II
Von der Version II sind nur TGV-PSE-Züge betroffen, die auf der TGV-Méditerranée-Strecke verkehren. Sie sind für den Langstreckenverkehr ausgelegt, besitzen alle in Version I getroffenen Änderungen in Bezug auf Design und Technik und darüber hinaus Folgendes: Der Erstklassbereich wurde zugunsten von mehr Zweitklassplätzen (276) reduziert. Der Sitzabstand wurde nicht nur um vier Zentimeter, sondern um acht Zentimeter vergrößert, was dem Komfort bei langen Fahrten zugutekommt. Die Gepäckablage befindet sich in Wagenmitte, und nicht in der Nähe der Türen. 220 V Steckdosen an jedem Sitzplatz ermöglichen den Netzbetrieb von beispielsweise Notebooks. Erwähnenswert ist, dass nach den im Jahr 2003 abgeschlossenen Renovierungen offensichtlich kein TGV PSE mehr in der orangen Farbgebung existiert.
Technik des TGV PSE
Zwei Triebköpfe mit einer Nennleistung von zusammen 6450 kW umschließen acht Mittelwagen aus Stahl. Bei den beiden äußeren Mittelwagen ist das den Triebköpfen zugewandte Drehgestell ebenfalls motorisiert. Somit sind bei einem TGV-PSE-Zug insgesamt 12 Achsen angetrieben. Zwar ist auf jedem Triebkopf ein Wechselstrom-Stromabnehmer installiert, doch liegt pro Zug immer nur einer am Fahrdraht an. Eine Hochspannungsleitung auf dem Dach versorgt den anderen Triebkopf mit Strom. Neben den Wechselstrom-Pantographen sind pro Zug weitere zwei Stromabnehmer für den Betrieb unter Gleichstrom vorhanden, die ebenfalls auf den Triebköpfen montiert sind. Sie werden unter 1,5 kV gleichzeitig an den Fahrdraht angelegt. Neben elektrischen Widerstandsbremsen wirken noch vier Scheibenbremsen pro antriebsloser Achse ein. Mit den Klotzbremsen, die auf die Laufflächen der Räder einwirken, hat der TGV PSE somit drei verschiedene Bremssysteme. Ursprünglich stattete die Industrie die TGV-PSE-Züge mit Stahlfederung aus, die aus Unzufriedenheit 1986 gegen eine Luftfederung ausgetauscht wurde.
Erstklasszüge
Für Geschäftsreisende standen lange Zeit neun reine Erstklasszüge zur Verfügung, die meistens in Doppeltraktion mit zweiklassigen TGV-Einheiten fuhren. Durch die TGV-Duplex-Züge rentierten sich die erstklassigen Garnituren jedoch nicht mehr. Einer wurde zu einem Post-TGV umgebaut. Eine andere Einheit diente als Versuchsträger für Neigetechnik, bekannt geworden unter der Bezeichnung P01 oder TGV-Pendulaire. Nach Abschluss aller Tests entfernte man die Neigetechnik und er wurde zu einem zweiklassigen TGV umgebaut. Alle anderen fielen den Renovierungsmaßnahmen zum Opfer und bekamen ebenfalls eine zweite Klasse verpasst.
Zukunftsperspektive des TGV PSE
Wie in anderen Ländern, so folgte auch in Frankreich dem TGV PSE ein Nachfolger, der in technischer und komfortabler Hinsicht seinen Vorgänger in den Schatten stellt. Er wurde 1989 im Fahrplan eingebunden, allerdings nicht als Konkurrent, sondern um auch den Westen Frankreichs an das französische TGV-Netz anzubinden. Trotz der umfangreichen Modernisierung ist die Hälfte der Lebensdauer der TGV-PSE-Züge vorbei.
Weitere Informationen zum TGV PSE
Zug- / Baureihenbezeichnung: | TGV-PSE (Paris-Sud-Est) Serie 23000 (zwei Stromsysteme)
Serie 33000 (drei Stromsysteme) |
Einsatzland: | Frankreich |
Hersteller: | GEC Alsthom, Francorail |
Herstellungskosten pro Zug im Detail: | viele Kosten |
Anzahl der Züge: | 107 Züge |
Anzahl der Züge im Detail: | 99 Serie 23000
8 Serie 33000 |
Zugtyp: | Triebzug |
Anzahl der Triebköpfe: | 2 Triebköpfe |
Anzahl der Mittelwagen: | 8 Mittelwagen |
Sitzplätze im Detail: | Anfangs insg. 386, später 368 Sitzplätze. Nach Renovierung 2 sind es nur noch 350 bzw. 345 Sitzplätze |
Baujahre: | 1978–1984 |
Inbetriebnahme: | 27.09.1981 |
Stromsystem(e): | 25 kV / 50 Hz
1,5 kV Gleichstrom 25 kV / 50 Hz 1,5 kV Gleichstrom 15 kV / 16,7 Hz |
Zugleitsystem(e): | TVM 300 nachträglich TVM 430 |
Höchstgeschwindigkeit bei Versuchsfahrten: | 380,4 km/h am 26.02.1981 auf der Strecke Moulins-en-Tonnerrois |
Technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit: | 300 km/h ab 1981: 260 km/h ab 1983: 270 km/h heute: Großteil der Flotte: 300 km/h |
Motoren: | 12 Thyristor-Mischstrom |
Antriebsleistung des Zuges: | 6.450 kW ( 12 x 537 kW ) |
Leistungsangaben im Detail: | 6450 kW unter 25 kV / 50 Hz 3100 kW unter 1500 V Gleichstrom 2800 kW unter 15 kV / 50 Hz |
Jakobsdrehgestelle: | Ja |
Neigetechnik: | Nein |
Zug fährt auch in Traktion: | Ja |
Anzahl der Achsen / davon angetrieben: | 26 / 12 |
Achsformel: | Bo'Bo'+Bo'2'2'2'2'2'2'2'Bo'+Bo'Bo' |
Federung: | Luftfederung (anfangs Stahlfederung) |
Länge / Breite / Höhe der Triebköpfe: | 22.150 / 2904 / 4130 mm |
Länge / Breite / Höhe der Mittelwagen: | 18.700 / 2904 / --- mm |
Länge / Breite / Höhe der Endwagen: | 21.845 / 2904 / 4130 mm |
Leergewicht: | 388 t |
Leergewicht des Zuges im Detail: | 386 t bzw. nach Renovierung 2: 385 t
388 t |
Zuglänge: | 200,19 m |