Aérotrain Luftkissen-Schwebezug in Frankreich
Von 1965 bis 1977 gab es Experimente mit einem spurgeführten Schnellbahnsystem namens „Aérotrain“. Die Idee war, ein Luftkissenfahrzeug auf einer ebenen Betonfahrbahn mittels Propeller bzw. Düsenantrieb mit hoher Geschwindigkeit vorwärts zu bewegen. Eine Mittelschiene aus Beton diente dabei als Führung. Der Franzose Jean Bertin, der sich bereits mit der Entwicklung von Luftkissenfahrzeugen einen großen Namen gemacht hatte, wollte mit dem Aérotrain die Nachteile des Rad-/Schiene-Systems beseitigen – zu groß waren damals die Probleme mit herkömmlichen Zügen weit jenseits der 200 km/h-Marke.[1]
Aérotrain Expérimental 01
Im Jahre 1963 fertigte die neu gegründete Aérotrain-Gesellschaft ein Modell eines Zuges an, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ziel war eine Schnellbahnverbindung zwischen Paris und Lyon mit 350 km/h schnellen Aérotrain-Zügen.[2] Zeitgleich begann der Bau eines „Experimentalzuges 01“ im Maßstab 1:2 mit sechs Sitzplätzen. Beim Original waren 50 bis 100 Sitzplätze geplant. Für den Versuchszug baute man bei Gometz la Ville eine 6,7 Kilometer lange Teststrecke. Ab dem 29. Dezember 1965 fanden die ersten Fahrversuche statt. Mit der Technik eines Luftkissenfahrzeuges erreichte das Fahrzeug eine Geschwindigkeit von lediglich 90 km/h.[1][2] Ein Jahr später wurde nachgerüstet. Der „Expérimental 01“ wurde mit einem Raketentriebwerk ausgestattet, was ihn 303 km/h schnell machte. Später ersetzten die Ingenieure den Luftschraubenantrieb durch eine Gasturbine. Zwei zusätzliche Feststoffraketen ließen das 1:2 Modell auf 345 km/h beschleunigen.[22] Im Jahre 1969 absolvierte es 3000 Fahrten mit einer Gesamtlänge von 18.600 Kilometern. 5500 Passagiere – vor allem Prominenz aus In- und Ausland – kamen in den Genuss des Schwebens in Flughöhe Null.[2] Als die SNCF, die die Rad-/Schiene-Technik favorisierte, die Erfolge des Luftkissenfahrzeuges 1966 sah, gründete sie sogleich ein Gegenprojekt mit dem Titel: „Eisenbahntechnische Möglichkeiten auf neuer Infrastruktur“, was zur Entwicklung des TGV führte.[1]
Aérotrain Expérimental 02
Um noch schneller zu werden, entwickelte man den „Aérotrain Expérimental 02“. Auf den Fahrgastraum musste verzichtet werden. Er war vollkommen auf Hochgeschwindigkeit ausgelegt. Schon gleich zu Beginn der Testfahrten ließ der Expérimental 02 die 300 km/h – Marke hinter sich. Am 22. Januar 1969 stellte das schwebende Geschoss den Rekord von 422 km/h auf, was ein Strahltriebwerk „Pratt & Whitney JT 12 aus der zivilen Luftfahrt ermöglichte.[1][2]
Aérotrain I-80
Für den zukünftigen kommerziellen Betrieb musste ein Aérotrain jedoch andere Abmessungen aufweisen, als es die Experimentalzüge hatten. Es entstand ein Fahrzeug mit Platz für 80 Fahrgäste. Die Länge betrug 27 Meter, die Breite 3,20 Meter. Der Aérotrain bekam den Namen „Orléans 250 - 80“ und wurde am 7. Juli 1969 der Öffentlichkeit vorgestellt.[1] Zeitgleich entstand eine weitere, 18 Kilometer lange Versuchsstrecke nördlich von Orléans.[2] Der Aérotrain I-80 Orleans hatte für die damaligen Verhältnisse ein futuristisches Aussehen, wozu die glatte Aluminiumhaut und die ummantelte Luftschraube am Heck beitrugen. Am 13. September erzielte man eine Geschwindigkeit von 250 km/h. 1973 erweiterten die Techniker den Antrieb um eine Turbine „Pratt & Whitney JT8D-7“, die bei Jumbojets Anwendung finden „ die Luftschraube verschwand. Insgesamt 2900 Personen konnten sich vom Rausch der Geschwindigkeit bei 350 km/h beeindrucken lassen. Der Höhepunkt in der Ära des Aérotrain I-80 HV war sicherlich der 5. März 1974, als der Zug bei einer Vorführfahrt sage und schreibe 430 km/h erreichte und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 417,6 km/h.[2][3]
Natürlich kümmerte sich Jean Bertin auch um entsprechende Strecken, denn das Fahrzeug allein konnte das Projekt nicht am Leben halten. In Planung waren folgende Strecken:
- Paris – Orléans
- Paris – Lyon
- Orly – Etoile
- Bruxelles – Genève über Luxembourg und Bâle
- Calais – Fourmies via Dunkerque und Maubeuge
- Aix en Provence – Marseille
- Orly – Roissy
- La Défense – Cergy Pontoise[1]
Das Ende des Aérotrain
Zwar schloss Bertin mit der Regierung einen Vertrag zum Bau von einigen der genannten Linien ab, aber einen knappen Monat später, am 17. Juli 1974 kam die Aufhebung des Vertrages. Die Regierung bevorzugte die Realisierung des TGV. Dreizehn Jahre Investitionen in die Luftkissen-Schwebetechnik waren wie weggeblasen.[2]
Im Nachhinein war die Favorisierung des TGV sicherlich die richtige Entscheidung. Die Betonfahrbahn mit Ein-Schienen-System war völlig inkompatibel zum bestehenden Schienennetz. Der Düsenantrieb war sehr laut und nicht gerade umweltfreundlich. In Sachen Fahrkomfort konnte ihm jedoch kein anderes Verkehrsmittel etwas vormachen – außer vielleicht das Flugzeug. Schade ist nur, dass die noch existierenden Fahrzeuge nicht in Museen untergebracht sind, sondern in Hallen an den Versuchsstrecken vor sich hin rosten, ausgeschlachtet worden sind und als Abenteuerspielplatz für Kinder herhalten müssen.[2]
Aérotrain in den USA
Die französische Aérotrain-Idee schwappte auch in die USA. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre beauftragte die „Urban Mass Transportation Administration“ Flugzeughersteller mit der Entwicklung von schnellen Fortbewegungsmitteln für Ballungsräume. Jean Bertin vergab eine Lizenz für die Luftkissenbahn an Rohr Industries, die ihrerseits einen modernen Aérotrain für 240 km/h herstellten. Grumman Aerospace und Garrett Corporation waren damals die Mitbewerber, doch Rohr Industries gelang als erster, das Produkt zur Serienreife zu führen. 1973 versetzte die Ölkrise und 1975 der Tod von Jean Bertin dem Aérotrain jedoch den Todesstoß. Grumman gab ebenfalls sein „Tracked Air Cushion Research Vehicle“-Projekt auf. Garrett AiResearch setzte damals auf das Rad-/Schiene-System mit einem Linear-Induktionsmotor als Antrieb. Später wurde es um zwei Düsenantriebe ergänzt und beschleunigte das Fahrzeug auf 411,5 km/h. Ende der 70er wurde auch jenes Projekt beerdigt.[5][6]
Zug- / Baureihenbezeichnung: | Aérotrain I-80 HV |
Einsatzland: | Frankreich |
Hersteller: | Aérotrain Gesellschaft; Idee von Jean Bertin |
Anzahl der Züge: | 1 Zug |
Zugtyp: | Luftkissenfahrzeug |
Anzahl der Sitzplätze 1. / 2. Klasse / Restaurant: | --- / --- / --- (80 insg.) |
Inbetriebnahme: | 07.06.1969 |
Höchstgeschwindigkeit bei Versuchsfahrten: | 430 km/h am 05.03.1974 auf der Strecke nördlich von Orléans |
Jakobsdrehgestelle: | Nein |
Neigetechnik: | Nein |
Zug fährt auch in Traktion: | Nein |
Länge / Breite / Höhe der Endwagen: | --- / 3200 / --- mm |
Zuglänge: | 27 m |
Ausrangiert: | 1974 |
Quellenangaben
- Website „L'Aérotrain et Les Naviplanes“, zuletzt abgerufen am 26. Dezember 2006.
- „Aérotrain – Ein fast vergessenes Kapitel Bahngeschichte“, Eisenbahn-Kurier, 7/1991, S. 36–40.
- Murray Hughes: „Die Hochgeschwindigkeitsstory – Eisenbahnen auf Rekordfahrten“, Alba Publikation AIF Teloeken GmbH + Co. KG, Düsseldorf, 1994, S. 56–59.
- Jürgen Körner: Website „Das französische Schwebebahnprojekt Aérotrain“, zuletzt abgerufen im September 2002.
- Website „The Rohr Aerotrain tracked air-cushion vehicle“, zuletzt abgerufen am 01.05.2017.
- Pueblo Railway Museum & Pueblo Railway Foundation: „The Rohr – A brief history of Rohr Industries, Inc.’s Aerotrain“.