Hochgeschwindigkeitszüge in Italien
In Italien verkehren viele verschiedene Hochgeschwindigkeitszüge auf einem Schnellfahrstreckennetz, das die Form eines großen „T”s hat. Den horizontalen Strich bildet die Verbindung Torino – Milano – Venezia (Turin – Mailand – Venedig). Der vertikale Balken vom „T” führt von Milano via Bologna, Firenze (Florenz) und Roma (Rom) nach Napoli (Neapel).[1] Nähere Informationen über das italienische Schnellstreckennetz, dessen geschichtliche Entwicklung sowie eine detaillierte Streckennetzkarte sind unter der Rubrik „Strecken > Italien“ zu finden.
Trenitalia, eine Tochtergesellschaft der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato (FS), betreibt auf kurvenreichen Routen mit wenig Neubaustreckenanteil meist Neigezüge, die „Pendolini”. Sie können enge Bögen schneller durchfahren als herkömmliche Züge. Die Wagenkastenneigung reduziert die für Fahrgäste unangenehmen Fliehkräfte.[2] Inzwischen sind mehrere Generationen von Pendolino-Zügen in Italien und im Ausland unterwegs. Trenitalia führt die bis 250 km/h schnellen Baureihen ETR 485 und ETR 600 unter dem Namen „Frecciargento” (Silberpfeil). Auch die Serie ETR 700, die jedoch kein Pendolino ist, wird unter diesem Produktnamen vermarktet.[3]
Es gibt aber auch reinrassige Hochgeschwindigkeitszüge, die vor allem auf Schnellfahrstrecken für kurze Reisezeiten sorgen. Trenitalia setzt dafür zwei völlig verschiedene Baureihen mit unterschiedlichen Antriebskonzepten ein. Diese Superzüge vom Typ ETR 500 Politensione und ETR 400 erreichen im Plandienst 300 Stundenkilometer und sind der Produktkategorie „Frecciarossa” (Roter Pfeil) zugeordnet.[3]
Die dritte Kategorie nennt sich „Frecciabianca”. Dabei handelt es sich einerseits um Hochgeschwindigkeits-Triebköpfe mit Intercity-Mittelwagen. Diese Serie hatte ursprünglich Probleme, genügend Strom aus der Oberleitung zu entnehmen, um mehr als 250 km/h zu erreichen. Außerdem kommen die Triebköpfe nicht mit dem Stromsystem neuerer Schnellfahrstrecken zurecht. Deshalb wurden sie zu Intercitys „herabgestuft”. Andererseits werden auch die Pendolino-Neigezüge der Serie ETR 460 sowie bestimmte lokbespannte Intercity-Züge im Frecciabianca-Dienst eingesetzt.[3]
Seit 2012 gibt es Konkurrenz im heimischen Schienenschnellverkehr. Das private italienische Eisenbahnunternehmen „Nuovo Trasporto Viaggiatori” setzt auf lukrativen Routen eigene Hochgeschwindigkeitszüge ein. Die ferrariroten Sprinter werden als „.italo AGV” und „.italo EVO” beworben.[4] Es sei noch erwähnt, dass auch ein paar TGV-Züge von Frankreich aus bis nach Milano kommen.[5] Es folgt ein chronologischer Überblick über die verschiedenen Superzug-Baureihen. Über einen Klick auf das jeweilige Bild des Zugtyps gelangen Sie zu den detaillierten Artikeln.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h – Baujahr: von 1970 bis 1971
Der ElettroTreno Rapido (ETR) 401 ist der Ur-Pendolino. Anfang der 70er Jahre wurde nur dieser eine vierteilige Hochgeschwindigkeitszug gebaut. Auf Test- und Demonstrationsfahrten erreichte er Geschwindigkeiten bis 260 km/h. Im Plandienst kam er auf der 298 Kilometer langen, kurvenreichen Strecke von Rom nach Ancona zum Einsatz. Der ETR 401 legte die Grundlage für die Serienfahrzeuge vom Typ ETR 450.
Rekord-Geschwindigkeit: 260 km/h – in Betrieb von: 29.05.1988 bis 07.01.2015
Die 15 Pendolino-Neigezüge des Typs ETR 450 waren Italiens erste Hochgeschwindigkeitszüge, die im Fahrgastbetrieb mit bis zu 250 Stundenkilometern fahren durften – sofern es die Trassierung erlaubte. Das Design wurde vom Ur-Pendolino übernommen und war bereits bei der Inbetriebsetzung ab 1988 nicht mehr zeitgemäß. Zu Beginn führten die Pendolini nur Wagen der ersten Klasse. Später erfolgte ein Umbau in gemischtklassige Garnituren. Bis 2015 waren alle ETR 450 ausgemustert.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h – Inbetriebnahme: 1995
Ab 1991 stellte Fiat Ferroviaria 10 Pendolini der zweiten Generation her. Sie erhielten die Baureihennummer ETR 460. Eine deutlich verbesserte, komplett unterflur angeordnete Neigetechnik erlaubt mehr Raum für die Reisenden. Die Betriebsaufnahme erfolgte ab 1995. Drei Garnituren wurden 1996 mit einer Zweisystem-Ausrüstung für den Frankreich-Einsatz ausgerüstet und fortan als ETR 463 geführt. Heute sind alle 10 Einheiten als Frecciabianca ausschließlich in Italien unterwegs.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 300 km/h – Baujahr: von 1990 bis 1995
Die 30 Einheiten vom Typ ETR 500 waren Italiens erste reinrassige Hochgeschwindigkeitszüge. Ohne Neigetechnik waren sie auf bogenarme, mit 3 kV Gleichspannung betriebene Strecken angewiesen. Auf der Direttissima-Schnellfahrstrecke Roma – Firenze sollten sie 300 Stundenkilometer erreichen, doch wegen Problemen bei der Stromabnahme wurde die Höchstgeschwindigkeit auf 250 km/h begrenzt. Nach etwa 10 Jahren wurden die Triebköpfe mit herkömmlichen IC-Mittelwagen verbunden. Seitdem sind die ETR 500 Monotensione als „Frecciabianca“ (Weißer Pfeil) im Einsatz.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h – Inbetriebnahme: 29.09.1996
Die ETR 470 sind Pendolino-Züge der zweiten Generation. Aufgrund des Namens der Betreibergesellschaft waren die neun Serienzüge unter der Bezeichnung „Cisalpino“ bekannt. Sie wurden von 1996 bis 2015 für den Verkehr zwischen Norditalien und der Schweiz eingesetzt. Ab 1998 fuhren einige Züge sogar bis nach Stuttgart. Massive technische Probleme und unzureichende Fahrplanreserven sorgten über Jahre für Verspätungen und Ausfälle. 2009 wurde die Cisalpino AG aufgelöst und 2014 ein Teil der Flotte verschrottet. Die übrigen Garnituren kamen zuerst in Italien zum Einsatz. Seit Mai 2022 rollen die ETR 470 in Griechenland zwischen Athen und Thessaloniki.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h – Baujahr: 1997
Die dritte Generation von Pendolino-Zügen wurde ab 1997 ausgeliefert. Die neunteiligen Garnituren mit der Bezeichnung ETR 480 waren ab Werk für eine Oberleitungsspannung von 25 kV 50 Hz vorbereitet, um auch auf neuen Schnellfahrstrecken fahren zu können. Die Nachrüstung erfolgte 2004 und 2005. Seitdem sind sie als Baureihe ETR 485 auf dem italienischen Streckennetz unterwegs. Trenitalia betreibt die Pendolino-Züge aktuell als „Frecciargento“ (Silberpfeil).
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 300 km/h – Baujahr: 1996
Die insgesamt 60 ETR 500 Politensione sind 300 km/h schnelle Hochgeschwindigkeitszüge ohne Neigetechnik. Sie können sowohl mit 3 kV Gleichspannung als auch mit 25 kV 50 Hz Wechselspannung betrieben werden und befahren in erster Linie die Schnellfahrstrecken zwischen Milano und Napoli. Die ersten 30 Züge wurden komplett neu gefertigt. Bei der zweiten Bestellung handelte es sich nur um die Triebköpfe, zwischen denen aufgearbeitete Mittelwagen aus der Serie ETR 500 Monotensione eingefügt wurden. Trenitalia setzt derzeit alle mehrsystemfähigen ETR 500 als „Frecciarossa“ (Roter Pfeil) ein.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h – Baujahr: von 2005 bis 2007
Im Februar 2004 bestellte Trenitalia 12 Pendolino-Neigezüge der vierten Generation. Bei den ETR 600 handelt es sich um Zweisystem-Züge für den italienischen Binnenverkehr. Auf Schnellfahrstrecken erreichen die Züge 250 km/h. Im Vergleich zu den älteren Pendolino-Bauarten wurde ein neues Kopfdesign gewählt und der Komfort im Innenraum erhöht. Auch erfüllen die ETR 600 erstmals die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität. Der Betreiber Trenitalia setzt die ETR 600 gegenwärtig als „Frecciargento“ (Silberpfeil) ein.
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h – Inbetriebnahme: 20.07.2009
2004 bestellte die ehemalige Cisalpino AG 14 Pendolino-Neigezüge der vierten Generation. Die Dreisystemfahrzeuge sind für den internationalen Einsatz in die Schweiz und nach Deutschland konzipiert. Der kommerzielle Einsatz erfolgte ab 2009. Ende jenes Jahres wurden die Züge zwischen den SBB und Trenitalia aufgeteilt, da die gemeinsame Tochtergesellschaft Cisalpino aufgelöst wurde. Trenitalia setzt seine ETR 610 als Frecciargento ein, während die SBB diese unter dem Markennamen „Astoro“ (Habicht) verkehren lässt. Im Sommer 2012 kam es zu einer Nachbestellung von weiteren acht ETR-600-Zügen. Einige Züge sind in Deutschland als Eurocity-Express (ECE) bzw. als Astoro im Einsatz.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 360 km/h – Inbetriebnahme: 28.04.2012
Die private italienische Eisenbahngesellschaft NTV bestellte 2008 beim TGV-Hersteller Alstom in Frankreich 25 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ
AGV. Im April 2012 begann der kommerzielle Betrieb mit den ersten Garnituren. Zwar sind die .italo AGV für 360 km/h ausgelegt, sie dürfen die italienischen Schnellfahrstrecken allerdings nur mit Tempo 300 befahren. Die ferrariroten Züge sind eine direkte Konkurrenz zur Superzug-Flotte „Le Frecce“ von Trenitalia.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h – Inbetriebnahme: 09.12.2012
Die High Speed Alliance und die SNCB bestellten 2004 beim italienischen Bahnhersteller AnsaldoBreda 19 Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ V250. Nach jahrelangen Lieferverzögerungen verbanden die ersten Züge ab Dezember 2012 die Städte Brüssel und Breda mit Amsterdam. Häufige technische Probleme im Plandienst zwangen nach nur 37 Betriebstagen zur Ausrangierung der bereits gelieferten Garnituren. 2017 kaufte Trenitalia 17 Einheiten, die seit 2019 als ETR 700 unter dem Markennamen „Frecciargento" Fahrgäste befördern.
Rekord-Geschwindigkeit: 390.7 km/h – Inbetriebnahme: 14.06.2015
Trenitalia unterzeichnete mit Bombardier und AnsaldoBreda einen Vertrag zur Lieferung von 50 Hochgeschwindigkeitszügen auf Basis der ZEFIRO-Plattform. Die ETR 400 sind für 400 km/h ausgelegt und damit die schnellsten Züge in Europa. Seit Juni 2015 verkehren sie als „Frecciarossa 1000“ vornehmlich auf den Schnellfahrstrecken zwischen Torino/Milano und Napoli / Salerno. 2019 wurden weitere 14 Züge bestellt. Im Dezember 2021 startete der Betrieb auf der internationalen Relation Paris – Lyon – Chambéry – Torino – Milano. 2020 erhielten die Hersteller den Zuschlag zum Bau weiterer 23 ETR 400 für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Spanien, der Ende 2022 unter dem Namen „iryo“ startete. Im November 2023 wurden weitere 30 Züge für den europaweiten Verkehr bestellt.
Der private italienische Bahnbetreiber NTV hatte sich mit den .italo-AGV-Hochgeschwindigkeitszügen vor allem auf der Relation Milano – Roma gegenüber den „Frecciarossa“-Superzügen gut behaupten können. 2015 bestellte NTV bei Alstom Pendolino-Züge der fünften Generation – allerdings ohne Neigetechnik. Damit weitete der private Bahnbetreiber sein Terrain ab 2017 im Norden Italiens aus. Durch mehrfache Nachbestellungen summiert sich die Anzahl der 250 km/h schnellen, ferrariroten Triebwagenzüge inzwischen auf 26 Einheiten.
Zugelassene Höchstgeschwindigkeit: 249 km/h – Inbetriebnahme: 2019
Die Schweizerische Bundesbahnen AG beauftragte 2014 den heimischen Bahnhersteller Stadler Rail mit dem Bau von 29 Hochgeschwindigkeitszügen. Sie sind für den internationalen Einsatz in der Schweiz, in Italien, Deutschland und Österreich vorgesehen. Seit 2015 werden die Züge bei den SBB als „Giruno“ (Bussard) geführt. 2019 startete innerhalb der Schweiz der kommerzielle Betrieb. Milano wird seit 2020 mit den Giruno-Zügen bedient. Genova, Bologna und Venezia kamen 2022 als weitere Destinationen hinzu. 2026 sollen mit weiteren neun 11-teiligen Garnituren auch Ziele in Deutschland angefahren werden.
Insgesamt 14 verschiedene Hochgeschwindigkeitszüge
Quellenangaben
- "In Italien entsteht ein Hochgeschwindigkeitsnetz", Eisenbahn-Revue International, 8-9/2006, S. 390-393.
- Horst J. Obermayer: Internationaler Schnellverkehr — Superzüge in Europa und Japan. Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 163.
- "Le Frecce di Trenitalia", Website von Trenitalia, abgerufen am 20.08.2022.
- Marco Chiandoni: "NTV Evo Pendolino trains enter service", Railjournal.com, News vom 12.12.2017.
- "Trenitalia startet TGV-Konkurrenz zwischen Paris und Mailand", Euronews, News vom 19.12.2021.