„Doctor Yellow“: Shinkansen-Messzüge in Japan
Shinkansen Mess- und Diagnosezug „Doctor Yellow“, Baureihe 923 T4 (Serie 700). – 27.03.2010 © Wikipedia: Mitsuki-2368 (CC BY-SA 3.0)
Der Shinkansen „Doctor Yellow“ im Überblick
„Doctor Yellow“ werden spezielle japanische Hochgeschwindigkeitszüge genannt, die nur für die Vermessung der Shinkansen-Infrastruktur zuständig sind. Aufgrund ihrer diagnostischen Aufgaben und auffällig gelben Lackierung kamen die Züge schnell zu ihrem Spitznamen. Die Messergebnisse zeigen, wo ein Bedarf an Instandhaltung entlang der Schnellfahrstrecken zwischen Tokio und Fukuoka besteht. In nächtlichen Betriebspausen werden die Reparaturen durchgeführt. Es hat im Laufe der Jahrzehnte mehrere Baureihen gegeben. Künftig sollen jedoch einige herkömmliche Shinkansen-Züge der Serie N700S mit zusätzlichen Messinstrumenten bestückt werden, um die Aufgaben von heutigen „Doctor Yellow“-Zügen zu übernehmen.
Die Aufgaben vom „Doctor Yellow“
Der Betrieb von Hochgeschwindigkeitszügen verursacht einen nicht unerheblichen Verschleiß, vor allem an Bremsen, Rädern, Schienen, Stromabnehmern und der Fahrleitung. Während die Schienenfahrzeuge regelmäßig in Betriebswerke einrücken, um die verschlissenen Komponenten zu reparieren oder auszutauschen, muss die Strecke vor Ort inspiziert und repariert werden. Alle zehn Tage prüfen die Diagnosezüge „Doctor Yellow“ Gleise, Oberleitung, Signalanlagen und elektrische Einrichtungen auf Veränderungen. Die Inspektionen werden bei der zulässigen Streckenhöchstgeschwindigkeit durchgeführt, was ein Mischbetrieb mit personenbefördernden Shinkansen-Zügen unter Tage erlaubt. Alleine bei der Überprüfung der Gleise werden vielfältige Parameter überprüft und aufgezeichnet: „Verlegegenauigkeit und Verwindung von Schienen, Unregelmäßigkeiten bezüglich Spurweite, Höhenlage, Gleisrichtung und Überhöhung, Raddrücke vertikaler und horizontaler Art sowie das Verhältnis zwischen Seitendruck und Achslast“[1] Ein weiterer Fachartikel geht näher auf die ehemaligen Messfahrten der älteren Fahrzeuggenerationen ein: „Einmal wöchentlich fährt in drei Tagesetappen der siebenteilige Messzug ‚Dr. Yellow‘ die durchgehenden Hauptgleise mit 210 km/h ab und prüft unter anderem Gleisgeometrie, Rad-Schienen-Kräfte, Fahrleitungsdynamik, Schutzstreckenumschaltung, ATO-Gleisstromkreise und Funkempfang.“[2] Techniker im Zug analysieren die Messergebnisse. Die Daten werden anschließend an die zuständigen Reparaturdienste übermittelt. In den nächtlichen Betriebspausen finden schließlich die Instandsetzungsarbeiten statt.[3][4]
Die „Doctor Yellow“-Messzüge sind beliebt
Nicht nur Japans Kinder sind Fans von „Doctor Yellow“. Erwachsene behaupten, es bringe Glück, den gelben Messzug zu Gesicht zu bekommen, denn seine Fahrttermine werden geheim gehalten. Immerhin ist bekannt, dass der „Doctor Yellow“ alle 10 Tage ausrückt, um innerhalb von zwei Tagen 1100 Streckenkilometer abzuspulen.[5] Beliebt sind Fotos von sich selbst mit dem gelben Zug im Hintergrund. Zudem werden viele Souvenirs rund um „Doctor Yellow“ produziert und verkauft.[6]
Welche „Doctor Yellow“-Garnituren gab es bisher?
Als die Tokaido-Strecke eröffnet wurde, hängte man an einen normalen Zug einen antriebslosen Oberbaumesswagen an. Alle drei, später alle sieben Tage wurde die Schnellfahrstrecke vermessen. Das Prüfprogramm war bereits damals recht umfassend, schließlich stand und steht noch heute die Betriebssicherheit und damit Menschenleben auf dem Spiel. Doch ein einzelner Wagen reichte schnell nicht mehr aus. Daher ließ die japanische Staatsbahn JNR den „Prototyp B“ der Baureihe 0 aus dem Jahr 1961 zu einem vierteiligen Messzug umbauen. Doch dieser Zug mit der Nummer 922-0 blieb nicht der einzige Messzug auf Japans Shinkansen-Netz. Die nachfolgende Übersicht listet alle bisherigen „Doctor Yellow“-Züge auf. Anzumerken sei noch, dass die japanische Staatsbahn JNR zum 1. April 1987 privatisiert und in Teilgesellschaften aufgeteilt wurde und diese in der Auflistung zusätzlich genannt werden.[1]
Baureihe 0 (922-0) | 1964–1976 | 4-teilig | JNR |
Baureihe 0 (922-10) | 1974–2001 | 7-teilig | JNR / JR Central |
Baureihe 0 (922-20) | 1979–2005 | 7-teilig | JNR / JR West |
Baureihe 200 (925/0) | 1979–2001 | 7-teilig | JNR / JR East |
Baureihe 200 (925/10) | 1982–2002 | 7-teilig | JNR / JR East |
Baureihe 700 (923) | 2000/2001–heute | 7-teilig | JR Central |
Baureihe 700 (923-3000) | 2005–heute | 7-teilig | JR West |
Aus obenstehender Tabelle ist ersichtlich, dass die Eisenbahngesellschaft JR East seit 2002 nicht mehr über gelbe Shinkansen-Messzüge verfügt. An ihrer statt beschaffte man den Mess- und Diagnosezug „East-i“.
Züge der Serie N700S mit Spezialequipment werden „Doctor Yellow“ ersetzen
Auf den Tokaido- und Sanyo-Shinkansen zwischen Tokio und Fukuoka führten im ersten Halbjahr 2024 nur zwei gelbe Triebwagenzüge mit dem Namen „Doctor Yellow“ Messfahrten durch. Sie wurden 2001 bzw. 2005 in Dienst gestellt und gehören zur Familie der Shinkansen-Serie 700. Im Sommer 2024 gaben die Betreiber der Strecken, JR Central und JR West, bekannt, beide Messzüge ausmustern zu wollen. JR Central plant die Abstellung bis Januar 2025, JR West möchte die Ära „Doctor Yellow“ frühestens 2027 beenden.[5][7] Statt der gelben „Spezialzüge“ sollen im regulären Personenverkehr eingesetzte Shinkansen-Züge der Serie N700S ihre Aufgaben übernehmen. Diese Baureihe ist bereits mit einigen Messgeräten ausgestattet, um die Strecke während der Fahrt grundlegend zu überprüfen.[7] Außerdem werden einige Züge der Serie N700S mit zusätzlichem Equipment bestückt, um alle Parameter der Trasse und Oberleitung zu erfassen und auf das Einhalten der festgelegten Toleranzgrenzen zu prüfen. Videoaufzeichnungen mit automatischer Bildanalyse sollen den Zustand von Gleisoberbau und Oberleitung beurteilen können. Dazu gehört auch die Erkennung von Fremdkörpern im Bereich der Stromabnehmer.[8] Die Hochgeschwindigkeitszüge der Serie N700S sind Teil einer Nachbestellung von 17 Einheiten, die sich, mit Stand 2024, im Herstellungsprozess befinden. Ihre Prüffähigkeiten werden denen der aktuellen beiden Messzüge in nichts nachstehen – ganz im Gegenteil! Außerdem können viele Züge die Strecke öfters überprüfen als die aktuellen beiden Messzüge.[8] Eisenbahn-Freunde sind enttäuscht, dass diese Ikone, der „Wächter des Shinkansen“, ein Auslaufmodell ist und es keinen gelb lackierten Nachfolger geben wird.[5]
Shinkansen-Netz in Japan
Quellenangaben
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 84.
- Dr. Helmut Petrovitsch: „Das Shinkansen-Hochgeschwindigkeits-Netz in Japan“, Eisenbahn-Revue International, 7/2002, S. 329.
- Horst J. Obermayer: „Internationaler Schnellverkehr – Superzüge in Europa und Japan“, Franck-Kosmos Verlags-GmbH + Co., Stuttgart, 1994, S. 85.
- „Doctor Yellow“, Wikipedia Deutschland, abgerufen am 04.01.2014
- „End of the line for Japan’s ‚Doctor Yellow‘ bullet trains“, NHK World Japan, News vom 30.06.2024.
- Teddy Wilson: „Mighty Trains: Shinkansen“, Exploration Production Inc., Minute 26:46–28:00.
- Jan Knüsel: „Doctor Yellow: Das Ende des gelben Shinkansen naht“, Asienspiegel, 20.06.2024.
- „N700S high speed trains with inspection capability to replace Dr Yellow“, Railway Gazette International, 20.08.2024.